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Retterin der Nacht (7. Kapitel)

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Malintra-Shadowmoon's avatar
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Es dauerte nicht lange und Lómarátien erreichte die Felswand, von der Inárion gesprochen hatte. Die Bäume hörten abrupt auf und zwischen der Felswand und dem Waldrand waren zwei Schritte freie Erde. Wie Inárion es gesagt hatte, ging sie an der Felswand nach Norden, die Wand zu ihrer Linken. Nach einigen Schritten sah sie die Spalte. Sie drehte sich noch einmal kurz um und betrachtete sich den dunklen Wald, dann trat sie durch die Spalte.

Vor ihr lag ein breiter und ebener Weg. Rechts und links ragten hohe Felsen auf. Im fahlen Licht des Mondes, das in dieser Enge noch schwächer war, sah Lómarátien fast nichts und sie ging mit langsamen Schritten vorwärts. Ihre Stute trabte hinterher. Es herrschte eine Totenstille, doch Lómarátien spitzte ihre Ohren, damit ihr kein Laut entging, der ihnen zur Gefahr werden könnte. Nach wenigen Metern wurde die Luft merklich kühler. Der Weg stieg zwar nur leicht an, doch es war immer noch Winter, und nur im Wald war es warm gewesen, als ob der Sommer vor der Tür stände. Lómarátien zog ihren Schaffellmantel an.

Nachdem sie eine Stunde gewandert war, fing es an zu dämmern, doch es wurde nicht sehr hell, denn mit dem Tageslicht kamen auch dicke Wolken, die das Sonnenlicht abschirmten. Der Weg zog sich hin. Nach jeder Biegung hoffte Lómarátien, daß die Felswände, die rechts und links von ihr aufragten, verschwinden oder wenigstens kleiner würden, doch sie behielten ständig ihre Höhe bei oder wurden sogar noch größer. Wenn wenigstens Inárion mit ihr gegangen wäre. Doch es war nicht seine Aufgabe, die Sterne zu finden, sondern ihre. Sie ganz alleine mußte sie bestehen. Als sich Lómarátiens Gedanken ihrer Aufgabe und somit der bevorstehenden Begegnung mit Kàrtuj zuwandten, überkam sie eine Angst, wie sie sie noch nie zuvor gespürt hatte. Sie hatte sich noch keine richtigen Gedanken darüber gemacht, doch es war klar, daß sie nicht in eine Höhle spazieren und die Sterne mit sich nehmen konnte. Sie mußte kämpfen. Mit Kàrtuj. Aber Inárion hatte gesagt, Kàrtuj wäre ein Wolf. Ein schrecklicher Wolf. Lómarátien wußte nicht, was sie erwarten würde, und das machte ihr noch mehr Angst, als wenn sie wüßte, daß sie gegen einen Drachen kämpfen müßte. Diese Ungewißheit und dazu noch die Einsamkeit. Es zerriß sie fast. Was würde sie dafür geben, jetzt zu Hause zu sein und mit Arma und den anderen Jungen auszureiten, um kämpfen zu üben. Vielleicht würde sie es nie wieder tun können. Vielleicht würde sie sterben und ihre Aufgabe nicht erfüllen können. Sie sah Inárions trauriges Gesicht vor sich und die Gesichter ihrer Familie und Freunde, die alle wie versteinert aussahen. Nein, sie durfte nicht sterben. Sie würde nicht sterben. Sie würde ihre Aufgabe erfüllen und die Nacht retten. Immerhin war sie die Auserwählte. Doch vielleicht war es ein Fehler gewesen, und sie war gar nicht die Auserwählte, die Retterin, sondern ein anderes Mädchen oder ein anderer Junge, der nun zu Hause bei seiner Familie saß und lachend irgendwelchen albernen Geschichten zuhörte? Doch Lómarátien glaubte selbst nicht daran, während ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen.

Als Lómarátien ihren Kopf hob, sah sie, daß die Felswände kleiner und weniger mächtig wurden. Sie war nun schon seit Stunden unterwegs, aber der Weg schien nicht enden zu wollen. Sie mußte schon Hunderte von Metern in die Höhe gestiegen sein. Die Luft war nun eisig kalt und ein noch kälterer Wind wehte. "Hätte ich doch nur noch mein langes Haar", dachte Lómarátien. Ihre Ohren, Wangen und Nase waren rot und bei jedem Atemzug stieg eine weiße Dunstwolke vor ihr auf. Doch insgeheim wußte sie, daß ihr Haar sie bei ihrer Reise nur gehindert hatte.

Sie bog um eine Kurve und blieb erschrocken stehen. Vor ihr lief der Weg trichterförmig zusammen. Dahinter waren die Felswände verschwunden. Stattdessen lagen rechts und links zwei tiefe Abgründe. Der Weg selbst war nur noch eine Armlänge breit. Lómarátien hatte sich zwar die Felswände weggewünscht, doch dies war noch viel schlimmer. Langsam ging sie auf den Weg zu und schaute in den Abgrund zu ihrer Rechten. Sie konnte den Boden nicht erkennen. Nur Schwärze. Bis zur anderen Seite, wo der Weg wieder so weiterging, wie er es hinter ihr tat, waren es nicht mehr wie fünfzig Meter, doch der Weg war schmal, sehr schmal. Lómarátien schluckte. Auch wenn sie noch so mutig war, sie hatte eine fürchterliche Höhenangst. Sie hatte noch nicht einmal ihrem Vater helfen können, als er das Dach ihres Hauses hatte reparieren müssen. Doch es blieb ihr nichts anderes übrig, als hinüberzugehen. Andernfalls hätte sie umkehren müssen und das konnte sie nicht tun. Behutsam tätschelte sie ihrem Pferd den Hals und flüsterte ihm zu: "Das schaffen wir, nicht wahr? Nur keine Angst." Das Pferd schnaubte unruhig, doch es ließ sich ohne Widerstand an den Zügeln auf den schmalen Weg führen. Einen Fuß vor den anderen setzend, ging Lómarátien voran. Sie hatte Schwierigkeiten, ihr Gleichgewicht zu halten, aber sie versuchte, sich ganz auf ihre Schritte zu konzentrieren.

Lómarátien kam es wie eine Ewigkeit vor, als sie auf der anderen Seite ankamen. Immer noch zitternd, doch stolz, schaute sie zurück. Erneut tätschelte sie das Pferd und lächelte ihm zu. Dann gingen sie weiter. Immer tiefer drangen sie ins Gebirge vor.

Die Mittagsstunde war schon lange vorbei, als der Weg erneut aufhörte. Doch dieses Mal hörte er wirklich auf. Wieder zogen sich die Felswände zu einem Trichter zusammen. Nur einen schmalen Durchgang ließen sie offen. Dahinter ging ein enger, steiler und felsiger Weg weiter. Es war unmöglich, daß die Stute diesen Weg gehen konnte. Obwohl Lómarátien wußte, was dieser Weg für sie bedeutete, dachte sie angestrengt über eine Lösung nach. Doch es gab keine. Sie mußte das Pferd zurücklassen. Dieses schien zu merken, was in Lómarátien vorging, denn es stupste sie sanft an, als wollte es sagen, daß es hier auf sie warten würde.

Tränen rannen über Lómarátiens schönes Gesicht, als sie das Gepäck vom Pferderücken ablud. Sie konnte nur das Wichtigste mitnehmen: Ihren Proviant, das kleine Messer, mit welchem sie ihr Haar geschnitten hatte und die Mondträne. Alles verstaute sie in ihrer Tasche. Doch dem Pferd ließ sie ein wenig Brot und getrocknetes Obst da, was sie alles an den Rand des Weges legte. Das andere Gepäck versteckte sie hinter einem Stein. Dann ging sie zu ihrem Pferd und schlang ihre Arme um seinen Hals. "Ich werde bald zurückkommen. Und dann werden wir zusammen zurück nach Kamtatûl reiten", sagte sie. Einige Minuten stand sie so da, den Kopf an den Hals des Pferdes gepreßt, bis sie sich schließlich löste und auf den Durchgang zuging. Ein letztes Mal schaute sie zurück und sie weinte noch mehr, als sie die traurigen Augen der Stute sah. Dann drehte sie sich um und fing an, den Weg hinaufzusteigen.
Chapter 7: In in the difficult path which Lómarátien had to follow is described. Also all the fears and doubts she was confronted with on her way: Who was her adversary? Was she really the right chosen? Imaginations what other people were doing just in that moment: Her family, her friends, the other boys. Would she die? What would happen when she failed? Then she encouraged herself that she would survive. She mastered her fear of great heights by passing a small and narrow abyss. Then she had to leave her horse behind. "I will come back soon and then we will ride back together to Kamtatûl."
She only took something to eat and drink, a small knife and the moon-tear with her.
© 2012 - 2024 Malintra-Shadowmoon
Comments4
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La-Nee's avatar
Eine schöne Wendung von den einsperrenden Felswänden zu tiefen Schluchten. Eine Höhenangst lässt die Helden menschlicher und sympathischer wirken.

Wieder eine wie-als-Verwechslung:
"Bis zur anderen Seite, wo der Weg wieder so weiterging, wie er es hinter ihr tat, waren es nicht mehr als fünfzig Meter. Doch der Weg war schmal, sehr schmal."